Tagungsbericht zum 21. Sächsischen Archivtag 2015 in Chemnitz

„Von der Glasplatte zur Festplatte – Aspekte der Fotoarchivierung“

Bericht vom 21. Sächsischen Archivtag

Der diesjährige Sächsische Archivtag war einer besonderen Archivaliengattung gewidmet: den Fotografien. Seit über 175 Jahren entstehen Fotos – und trotzdem waren sie lange ein „Stiefkind der Archive“, wie Wolfgang Hesse 1997 zu Recht feststellte. Und bei nüchterner Betrachtung muss man konstatieren, dass die von ihm damals festgestellten Defizite auch heute noch bestehen. Massiv geändert haben sich mit dem Einzug der Digitalfotografie und der Revolutionierung der Medienlandschaft allerdings die Quantität der entstehenden Fotos und der Stellenwert der fotografischen Überlieferung für die Außendarstellung der Archive. Gründe genug für den Landesverband Sachsen im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA), Aspekte der Fotoarchivierung auf einem Archivtag zu thematisieren.

Zu der am 26./27. März 2015 in Chemnitz stattfindenden Tagung hatten der Landesverband (LV), das Sächsische Staatsarchiv, die Technische Universität und die Stadt Chemnitz eingeladen. 198 Teilnehmer vor Ort und bis zu 40 gleichzeitig zugeschaltete Nutzer des Livestreams folgten der Einladung. Die Räumlichkeiten der Universität Chemnitz boten dabei hervorragende Rahmenbedingungen für das Vortragsprogramm und die mit 22 Ausstellern beeindruckend große Archivmesse. Nach der Eröffnung durch die Vorsitzende des LV, Grit Richter-Laugwitz, folgten zunächst Grußworte von Ulrich Menke (Abteilungsleiter im Sächsischen Staatsministerium des Innern), Berthold Brehm (Bürgermeister der Stadt Chemnitz), Prof. Dr. Arnold van Zyl (Rektor der TU Chemnitz), Dr. Andrea Wettmann (Direktorin des Sächsischen Staatsarchivs) sowie Thomas Kübler (Leiter des Stadtarchivs Dresden, für den VdA-Gesamtvorstand).

Der Einführungsvortrag war den „Vermarktungschancen für digitalisierte Bildbestände von Archiven“ gewidmet. Hans-Peter Frentz (Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin) informierte einleitend über das kurz vor der Ratifizierung stehende Informationsweiterverwendungsgesetz (IWG) und dessen Bedeutung für die Arbeit von Archiven. Anschließend stellte Frentz die Fotoüberlieferung seiner Einrichtung und ihre Verwertung im Überblick vor. Von den 12 Millionen Fotos seien ca. 5% kommerziell verwertbar. Daher würden auch nur 250.000 Digitalisate von Fotos vorgehalten, alles andere sei nicht wirtschaftlich. Finanziell aufwändiger als die Digitalisierung sei die Verzeichnung bzw. Verschlagwortung, die aber essentiell für eine kommerzielle Verwertbarkeit sei. Frentz legte eindrucksvoll dar, welche Aspekte bei einer Entscheidung für eine kommerzielle Verwertung fotografischer Überlieferung zu bedenken sind und appellierte v. a. an kleinere Einrichtungen, sich ggf. geeignete Partner zu suchen. Abschließend stellte er das Portal der Bildagentur bpk als öffentlich-rechtliche Lizenzierungsplattform für hochwertige digitale Abbildungen von Kunstwerken, Sammlungsgegenständen und Archivgut vor. Nach der Mittagspause, die wie alle Pausen auch rege zum Besuch der Archivmesse genutzt wurde, folgte der erste Fachblock zu „Übernahme und Erschließung“ unter der Moderation von Gabriele Viertel (Stadtarchiv Chemnitz), die in ihrer Einführung auch auf die problematischen Regelungen der Sächsischen Gemeindeordnung zur Annahme von Schenkungen einging. Als erste Vortragende stellte Aileen Tomzek (Landesarchiv Berlin) die „Erschließung von Fotobeständen im Landesarchiv Berlin mithilfe der Datenbank 'Augias' am Beispiel des Architekturfotografen-Bestandes Walter Köster (1904-1988)“ vor. Das Landesarchiv kann bereits mit einer beeindruckenden Zahl von digitalisierten Fotos aufwarten, darunter auch ca. 40.000 Glasplatten. Tomzek ging nach einer kurzen Vorstellung der Rahmenbedingungen im Referat Audiovisuelle Medien vor allem auf die Erschließung von Fotos ein und stellte die Herangehensweise bei der notwendigen Recherche zur Identifizierung von Bildmotiven vor.

Eine locker vorgetragene Tour d’Horizon über „Forschungsorientierte Akquise, Übernahme, Erschließung von Fotobeständen städtischer und privater Provenienzen“ bot Thomas Kübler (Stadtarchiv Dresden). In Dresden konnte ein Verfahren gefunden werden, das die Annahme von Schenkungen auf der Grundlage der Sächsischen Gemeindeordnung vereinfacht. Große Probleme werfen die in ausufernder Quantität entstehenden digitalen Fotos anbietungspflichtiger Stellen auf; Kübler nannte u. a. die erheblichen Kosten für die IT-Haltung der digitalen Fotos. Zunehmend müssten Übernahmen abgelehnt werden, wenn zu den angebotenen Fotos keine weiteren Informationen mitgeliefert werden.

Mit einem ungewöhnlichen Nachlass beschäftigte sich Thomas Binder (Stadtarchiv Kamenz) in seinem Vortrag „Von Havanna nach Kamenz. Der Sammlungsauftrag des Stadtarchivs Kamenz am Beispiel eines Fotonachlasses“. Während in den Jahren nach 1990 ein Arbeitsschwerpunkt auf der Sicherung von Beständen gelegen habe, sei in den vergangenen Jahren zunehmend Ordnung und Verzeichnung in den Blick genommen worden. Dies gelte auch für den Nachlass von Eberhard Bundtzen, einem Kamenzer, der in den 1960er Jahren erstmals Tauchgänge vor Kuba machte und später von der Forschungsstelle des Staatlichen Museums für Tierkunde mit Foto-Exkursionen in die kubanische Unterwasserwelt betraut wurde. Binder stellte anschaulich die Übernahme inkl. Rechteregelung, technische Bearbeitung und Verzeichnung des Bestandes vor.

Inhaltlicher Schwerpunkt der sich anschließenden Diskussion war der Umgang mit dem Massenproblem bei der Bewertung und Verzeichnung von Fotos, speziell auch bei fehlenden Metadaten. Nach einer Pause schloss sich die Mitgliederversammlung des Landesverbandes Sachsen im VdA an. Sie umfasste den Rechenschaftsbericht des Vorstands über die vergangenen zwei Jahre, den Bericht des Schatzmeisters und der Kassenprüfer.

Nach einer Aussprache über die Berichte wurde der Vorstand entlastet. Aus persönlichen Gründen schied das langjährige Vorstandsmitglied Dr. Rüdiger Kröger (Unitätsarchiv Herrnhut) aus dem Vorstand aus und die Vorsitzende sprach den Dank des Vorstands aus. Die Fachgruppe 3 wird nach bereits erfolgter Wahl nun durch Kristin Schubert (Landeskirchenarchiv der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens) vertreten.

Der 1990 in Chemnitz gegründete, heutige Landesverband Sachsen im VdA lud am Abend zu einer Festveranstaltung anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums in den Stadtverordnetensaal des Rathauses. Nach der Eröffnung durch Grit Richter-Laugwitz und einer kurzen, mit Fotos illustrierten Rückschau auf die Tätigkeit des Landesverbandes seit 1990, hielt Prof. Dr. Robert Kretzschmar (Landesarchiv Baden-Württemberg) den Festvortrag. „Papierzerfall, hybride Akten und Präsenz im Netz. Die Archive und die Komplexität der aktuellen Herausforderungen“ waren sein Thema. Zu der seit Jahrzehnten bekannten Aufgabe der Rettung vom Papierzerfall bedrohter unikaler Archivalien habe sich mit der Entstehung elektronischer Unterlagen inkl. hybrider Akten eine weitere enorme Herausforderung für die Archive gesellt. Eine epochale Veränderung für die Archive sieht Kretzschmar im Internet und seinen Nutzungsmöglichkeiten: Die Online-Präsenz der Archive und die sich zunehmend vernetzende Portallandschaft führten zu neuen Nutzungspraktiken und Handlungskontexten. Diesen Herausforderungen könne angemessen nur durch spartenübergreifende Zusammenarbeit inkl. Lobbyarbeit begegnet werden.  

Der zweite Tagungstag war zunächst Rechtsfragen gewidmet. Dr. Ute Essegern (Leiterin Dokumentation / Redaktionsarchiv der Sächsischen Zeitung und Morgenpost Sachsen) bot unter dem Vortragstitel „Wem gehört das Bild? Auswirkungen des deutschen Urheberrechts und anderer Schutzrechte auf die archivische Arbeit mit Fotobeständen“ einen eindrucksvollen Einblick in die Thematik – dies ausgehend von einem einzigen Foto aus dem Bestand ihres Archivs. Das in einer Ausgabe der Dresdner Morgenpost publizierte Foto aus dem Jahr 2014 (Fotograf Sven Ellger) zeigt den 1874 in Halle (Saale) geborenen Fotografen Hugo Erfurth und zwei weitere Personen. Genauer: Es zeigt den Rahmen eines Fernsehers sowie ein Standbild (Screenshot) aus einem Werbefilm, den Erfurth in den 1920er Jahren für sich drehen ließ. Der Werbefilm, dessen Vorlage sich im Bundesarchiv Berlin befindet, war 2014 in einer Ausstellung der Technischen Sammlungen in Dresden gezeigt und fotografiert worden. Anhand dieses Fotos demonstrierte Essegern die schrittweise Prüfung der mit dem Foto verbundenen Rechte; dies sowohl auf der Ebene des Fotos von 2014 wie auf der Ebene des (im Foto wiedergegebenen) Werbefilms aus den 1920er Jahren. Zu beachten sind die Rechte der ursprünglichen Filmemacher (Regisseur, Kameramann), die Rechte der Filmfirma, die Rechte des Auftraggebers Hugo Erfurth und die der anderen abgebildeten Personen ebenso wie die Rechte des Fotografen und der Zeitung, in der das Foto erschienen ist, die Rechte des Bundesarchivs als Eigentümer der Vorlage und die Rechte der Technischen Sammlungen als Ort der Filmvorführung. Einschlägige Rechtsgrundlagen sind v. a. das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, UrhG) und das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (Kunsturhebergesetz, KUG). Essegern ging in ihrem Vortrag auch auf das Thema Copyfraud (Schutzrechtsberühmung) ein und stellte klar, dass gemeinfreie Werke und originalgetreue Reproduktionen dieser Werke gemeinfrei sind und bleiben und als solche auch gekennzeichnet werden sollten. Abschließend plädierte sie für dreierlei: 1. eine saubere und schriftliche Rechteklärung schon bei der Übernahme von urheberrechtlich geschütztem Archivgut (Werken im Sinne des UrhG), 2. Lobbyarbeit für eine gesetzliche Neuregelung der Nutzbarkeit von unveröffentlichten Fotos in Archiven, 3. Beobachtung der weiteren Entwicklungen im Zusammenhang mit der Novellierung des Informationsweiterverwendungsgesetzes und Achtung und Wahrung der Rechte von Urhebern und Leistungsschutzinhabern. Die sich anschließende Diskussion verdeutlichte, in welchem Spannungsfeld Archivarinnen und Archivare zwischen rechtskonformen Handeln und angestrebter Nutzbarmachung von Archivgut stehen. Deutlich wurde auch der permanente Fortbildungsbedarf bei sich weiter entwickelnder Rechtsprechung zu Fragen des Urheberrechts.

Der dritte und letzte Fachblock war unter der Moderation von Raymond Plache (Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz) der „Nutzung und Auswertung“ gewidmet. Zunächst informierte Frank Schäfer (Landesarchiv Baden-Württemberg) unter dem Titel „Digitalisierung und Entwicklung neuer Nutzungsmöglichkeiten von archivalischen Fotobeständen“ über die bisherigen Ergebnisse eines DFG-Projektes zur Digitalisierung von archivalischen Quellen mit dem Ziel des Aufbaus einer DFG-Förderlinie für das gesamte Archivwesen. Das Teilprojekt zu Fotos umfasste die Arbeitspakete Workflow Digitalisierung, Crowdsourcing, Persistent Identifier sowie Rechtefragen. Schäfer stellte einleitend Kriterien für die Auswahl zu digitalisierender Fotos vor und berichtete dann über die Ergebnisse im Arbeitspaket Workflow Digitalisierung. Sehr deutlich wurde, von welch zentraler Bedeutung eine intensive Bestandssichtung und enge Projektbegleitung für das Gelingen eines Digitalisierungsprojektes sind.

Das Jahr 2018 ist als Jahr der sächsischen Industriekultur ausgerufen, eine Landesausstellung wird sich diesem Schwerpunktthema widmen. Auch vor diesem Hintergrund war Dr. Dirk Schaal (Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, Koordinator Sächsische Industriekultur) um einen Beitrag gebeten worden. Unter dem Titel „Fotografie als Medium der Industriekultur. Sammlungsgut, Quelle, Ausstellungsobjekt“ bot er eine Einführung in die historische Entwicklung der Industriefotografie (Repräsentationsfotografie, Dokumentationsfotografie, Reportagefotografie) und stellte anschließend die breite Sammlungslandschaft in Sachsen und Arten von Sammlungen vor (Einzelbilder, Themenkonvolute, Auftragskonvolute, Vor- und Nachlässe). Von besonderem Wert sei bei der fotografischen Überlieferung in Archiven, dass hier oft auch Informationen zum Entstehungskontext überliefert seien. In der sich anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Industriefotografien verwahrenden Archive der verschiedenen Sparten ebenso wie Dr. Schaal in seiner Funktion als Koordinator an einer Zusammenarbeit zum Thema „Sächsische Industriekultur“ interessiert sind. In ihren abschließenden Worten zur Tagung dankte Grit Richter-Laugwitz allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie besonders dem Ortskomitee, bestehend aus Stephan Luther (Universitätsarchiv Chemnitz), Raymond Plache (Staatsarchiv Chemnitz), Dr. Stephan Pfalzer (Stadtarchiv Chemnitz) und Birgit Rauch (Archiv der BStU, Außenstelle Chemnitz) für die hervorragende Organisation der Tagung und des intensiv genutzten Rahmenprogramms.